Von der Singe-Kunst oder Manier.
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Von der Singe-Kunst oder Manier
1. Nachdem es nicht genug den Tittul eines Singers zu erhalten, daß
man fertig alles was vorkömt, weg singet, sondern auch benebenst der guten
Stimme eine künstliche Art, welche man insgemein die Manier nennet,
erfordert wird, also ist notig zu erlernen, welche denn diejenige
Kunststücke sind, welche ein Singer beobachtend und anbringend eines
Sängers Nahmen verdienet.
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2. Und ist zwar die Manier zweyerley: Eine bey den Noten bleibend, die andere
dieselben verändernd.
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3. Die bey den Noten bleibend[e] ist wiederum zweyerley, nämlich eine nur auf
die Noten sehend, und die andere, welche auch den sogenanten text in acht
nimmt.
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Diese Arten der Manier werden mit sonderbahren Nahmen genennet, und teils
wegen ihrer natürlichen Eigenschaften die 1. Cantar sodo, die 2.
cantar d'atfetto, die veränderte aber Cantar passagiato
geheißen.
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4. Sonst werden sie auch nach den Orthen, wo eine [jedwede] Art beliebet wird,
benamset, und die erste Gantal' alla Romana, die andere alla Napolitana, ie
3. alla Lombarda genennet.
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Diese Arten nun sollen nacheinander erkläret werden.
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5. Die nur bey den Noten verbleibende Arth Cantar sodo genennet,
heißt darum das schlechte oder gleiche Singen, nicht daß es so leicht zu
lernen, oder daß man schlechter Dinge bey den Noten bleibe |: sintemahl es
das schwerste und mühsamste und der übrigen Arten Grund ist :| sondern
weil es dieselben nicht mit passagiren verändert, sondern einer jeden Note
insonderheit ihre Zierliehkeit ertheilet.
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Und muß man einen, der wegen seines zum passagieren nicht dienlichen Halses und
den text nicht verstehend, also die andern beyden Arthen nicht braucht, dennoch
für einen guten Sänger erkennen.
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6. Die Kunststücke so hierinnen gebraucht werden, sind folgende: 1. fermo,
2. forte, 3. piano, 4. trillo, 5. accento, 6. anticipatione della Syllaba,
7. anticipatione della nota, 8. cercar della nota, 9. alrdire.
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7. Das fermo oder Festhalten der Stimme, wird bey allen Noten erfordert,
ausgenommen, wo das trillo oder ardire gebraucht wird, und insonderheit die
Zierde des fermo ist daraus zu verstehen, weil das tremulo |: welches sonst anf
der Orgel, in welcher alle Stimmen zugleich tremuliren können, wegen der
Veränderung wohl lautet :| ein vitium ist, welches bey den alten Sängern nicht
als eine Kunst angebracht wird, sondem sich selbst einschleichet, weil selbige
nicht mehr die Stimme festzuhalten vermögen.
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Wer aber mehr Zeugniß begehret vom Übelstande des tremulo, der höre einen alten
tremulirenden zu, wenn selbiger alleine singet; so wird er urteilen können,
warum das Tremulum von den vornehmsten Sängern nicht gebraucht wird, es sey
denn in ardire, davon drunten.
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Wiewohl es auch an andern Orthen den Bassisten vergönnt ist, doch mit dem
Bedinge, daß sie es selten und bey kurtzen Noten anbringen.
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8. Das Piano und Forte, wie auch die andern Kunststücke, sollen von uns ins
Künftige zur Nachricht, mit sonderbahren Zeichen bemerket werden, und zwar weil
das piano und forte wechselsweise aufeinanderfolgen muß im Singen, also wollen
wir es zugleich abhandeln, wenn wir erstl[ich] das piano mit dem p, und das
forte mit dem f, zum Kennzeichen werden bemerket haben.
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9. Dieses piano und forte nun, wird entweder auf einer Noten zugleich, oder auf
unterschiedlichen Noten auf einander folgend, gebraucht;
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jenes geschieht in gantzen und halben tacten, dieses in kleineren Noten.
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10. In gantzen und halben Noten pflegt man das piano zum Anfange, daß forte in
der Mitten und zuletzt wiederum das piano zu brauchen, alß:
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worbey denn wohl in acht zu nehmen, daß man nicht plötzlich aus dem piano ins
forte fallen, sondern allmählich die Stimme wachsen und abnehmen lassen müsse,
sonst würde dasjenige, welches ein Kunststück seyn sollen, recht abscheulich
lauten.
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11. In kleinen Noten wird ein Theil derselben Piano und die andem Forte und
dann wiederum so abgewechselt gesungen, doch also, daß man mehrentheils mit dem
piano anfange, allezeit aber damit endige.
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12. Das Trillo ist das allerschwerste, aber auch zierlichste Kunststück,
und kann keiner vor einen guten Sänger geachtet werden, der dasselbe nicht
weiß zu gebrauchen: wiewohl aber unmöglich, es mit Worten also abzumahlen,
daß es einer daraus erlernen solte, und mehr aus dem Gehör muß erlernet
werden; so kann man dennoch anzeigen, wie es ohngefehr müsse gemacht werden.
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Es ist aber zu merken, daß teils Stimmen aus der Brust herrühren, teils aber
nur im Halse oder Kopfe |: wie die Musici sagen :| geformiret werden.
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Dannenhero denn folgt, daß es nicht alle mit der Brust schlagen können, worauß
sonsten die besten Trillen geschlagen werden; sondem etliche |: und
gemeiniglich die Altisten :| es im Halse machen mussen.
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Vor allen Dingen aber ist genau Achtung darauf zu haben, daß man im Trill
schlagen die Stimme nicht verändere, damit nicht ein Gemäcker daraus werde.
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So ist auch dieses zu beobachten, daß einer, ders nicht recht wohl macht, gar
kurtz schlagen solle, damit es die Zuhlsrer nicht merken mögen, daß ers nicht
zum Besten schlage: wem es aber wohl abgehet, dem ist vergönnt es so lang zu
machen, alß er kann, und ist desto anmuthiger und verwunderlicher.
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Darneben soll man es auch nicht gar zu geschwinde schlagen, sondern die
Stimme gleichsam nur schweben lassen, doch auch nicht gar zu langsam, und
wenn ja eines von beyden zu wehlen, so wollt ich lieber ein etwas
geschwindes, als gar langsames hören, wiewohl das Mittel zu treffen das
beste sein wird.
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13. Das Trill wird erstlich gemacht allenthalben, wo über den Noten das t |
welches denn ein Zeichen ist, womit das Trill bemerkt wird | zu finden ist.
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2. an andern Orten mag es zwar, aber mit gutem Bedacht, gemacht werden, und ist
mehr durch Übung und Anhörung anderer zu ersehen, wie es sich wohl gebrauchen
lasse, als daß man es in gewissen Praeceptis beschreiben und dadurch dem Sänger
seine Freyheit nehmen wolle:
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dessen Discretion die Noten über denen ein Trill zu machen käme, wird zu
wehlen wissen.
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Doch ist wohl zu mercken, daß es nicht gar zu oft gemacht werde, und geht es
hie, wie mit denen Gewürtzen, welche, wenn sie mäßig gebraucht werden, die
Speiße anmuthig machen, auch dieselbe, wenn man zu viel dran tut, wohl gar
verderben konnen.
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Zudem so ist unser fürnehmstes Sorgen hiesiges Orths nichts anders alß nur alle
Stücke der Manier zu erklären.
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Ihr Brauch kann besser aus Übung erlernet werden.
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14. Wenn in den langen Trillen das forte und piano fürkömt, so ists sehr
anmuthig zu hören, und geschieht auf zweyerley Weise: 1) daß man das
Trillo piano anfängt und allmählich die Stimme darinnen zunehmen läßt.
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2) wenn man die Trillen verdoppelt (quando si fa trilli doppi) als zum
Exempel:
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15. Accento ist ein so genanntes Kunststücklein, welches bey Endigung einer
Note mit einem gleichsam nur anhenckenden Nachklange gefolrmiret wird, und
irren also diejenige, welche einen starck herausgestoßenen Jauchzer an statt
eines gelinden accento gebrauchen und indem sie vermeinen eine Zierde dem
Singen zu geben, einen Abscheu, wegen des übelständigen Jauchzers bei den
Zuhörern verursachen.
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16. Es wird aber gebrauchet, einmal bei herabsteigenden 2) nebeneinander in
einem Clave stehenden, 3) endigenden Noten.
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17. Einmahl ist hierbey zu mercken, daß in 2 aufeinanderfolgenden Noten nicht
alle beyde, sondern nur die eine mit einem Accento kann bezieret werden, die
andere bleibt ohne accent, die dritte aber kann wiederum einen accent haben.
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18. Daß nur die Syllaben, so in Aussprechen lang sind, einen accent leyden, die
aber, so in Aussprechen kurz fallen, müssen ohne accent bleiben, jedoch so
können die letzten Syllaben der Wörter, obgleich solche im Ausreden
niedergedrückt werden, accentuirt et werden, wie dieses alles in vorhergehendem
Exempel zu sehen ist.
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19. Anticipatione della Syllaba, wird gezeichnet mit dem S und ist |: wie der
Nahme auch anzeiget :| ein solch Kunststück, welches die zu der folgenden Note
gehörende Syllabe auch der Vorhergehenden in etwas zutheilet: alß:
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welches ohngefähr so gesungen werden könte:
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20. Anticipatione della Syllaba wird gebraucht 1) gemeinigl wenn die eine Note
eine 2da höher steiget, alß die Vorhergehende, 2) selten wenn die Noten eine
3tia springen oder fallen, 3) noch seltener wenn die Noten eine 4ta 5ta oder
6ta in die Tieffe fallen.
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4) zum wenigsten, wenn die Noten eine 4. 5. oder 6te steigen.
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Erstl[ich] nun wenn die folgende Note eine 2da höher steigt, alß die
Vorhergehende, so wird ans Ende der vorhergehenden Note die Syllaba, so zur
folgenden gehörte, geheftet, wie im obigen Exempel zu sehen.
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2) wenn die Noten eine 3tia steigen oder fallen, so wird ein Theil von der
vorhergehenden Note genommen, und zwischen die tertia gesetzt, hingegen die
Syllaba der nachfolgenden Note zu dem zwischen der tertia gesetzten Theil der
vorhe rgehenden Note appliciret, alß:
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3) Wenn die Noten eine 4ta etc. fallen, so wird die erste Note folgender
gestalt getheilet:
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4) Die letzte Arth, wenn nehmlich die Noten eine quarta etc. steigen, wird fast
nicht gebraucht, geschieht doch also:
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21. Anticipatione della nota ist, wie gleichermaßen der Nahme anzeiget, ein
Kunststücklein, damit ein Theil der vorhergehenden Note zu der folgenden
gethan und mit N. gezeichnet wird.
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Man braucht es, wenn die Noten eine Secunda hinaufsteigen oder herabschreiten.
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22. Wenn die Noten eine Secunda steigen, so wird die erste Note getheilet, und
der letzte Theil derselben in den Tonum der nachfolgenden gezogen, also auch,
wenn sie eine 2da herabsteigen.
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Gercar della nota heilßt ein Suchen der Noten, und wird mit dem c bezeichnet.
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24. Und wird gebraucht, entweder im Anfange oder im Fortgange der Noten.
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Im Anfange pflegt man den nechsten ton unter der anfangenden Note gar kurtz und
schwach zu fassen, und von demselben ganz unvermerckt zur anfahenden Note zu
gleiten:
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Im Fortgange der Noten kann es sowohl bey den nebeneinander stehenden, [als]
auch springenden Noten gebraucht werden.
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Wenn die Noten nebeneinander stehen, schreitet man von der ersten zur andern,
entweder durch den nechsten Ton von oben, oder [von] unten.
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Wenn man, wo die Noten eine 2da steigen oder fallen, das Cercar della nota
brauchen will, so muß man erst die Anticipatione della nota darinnen
gebrauchen, und denn vorigter Regel gemälß verfahren, alß:
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Wenn die Noten eine 3tia steigen oder fallen, so braucht man das Cercar della
Nota, folgender gestalt.
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Wenn aber die Noten eine 4ta, 5ta etc. steigen oder fallen, so nimmt man das
Cercar della nota entweder ein[en] Ton tiefer oder hoher, wiewohl in
dergleichen Sprüngen, so steigen, das Cercar della nota selten gebraucht wird,
darum wir denn auch nur fallende exempel anführen wollen.
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25. Das Ardire ist ein Tremol, welches bey der letzten Note einer Clausul
gemacht wird.
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Dieses Ardire wird gar von wenigen gebraucht, es sey denn von Bassisten,
welchen es auch am besten anstehet, weil ihnen ohne daß das Tremulum mehr alß
andren vergönnet ist;
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und wird gezeichnet mit .
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Es ist aber wohl zu behalten, daß mans über der letzten Note eines Stücks,
welche man die Final Note nennet, durchaus nicht gebrauchen soll.
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Dieses ist nun also kürzl[ich] von der Manier welche man Romana nennt, die alle
und jede Musici, so wohl Sänger als Instrumentisten brauchen sollen.
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Folget die andere Napolitana genennet.
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26. Cantar alla NapOlitana oder d'atfetto ist eine nur den Sängern zustehende
Manier, weil selbige nur allein einen Text für sich finden, jedoch können auch
die Instrumentisten sich etlicher maaßen derselben gebrauchen, indem sie ihre
instrumenta nach für sich befundener frölicher oder klaglicher Harmonie zu
gebrauchen und zu müßigen wissen.
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27. Sie bestehet aber darinnen, daß der Sanger fleißig den Text beobachtet und
nach Anleitung [desselbigen] die Stimme moderirt.
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28. Solches geschieht auf zweyerley Weiße, einmahl in Beobachtung der blosen
Worte, zum andren in Anmerckung ihres Verstandes.
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29. Das erste bestehet in rechter Aussprache der Worte, die er singend
fürbringen soll, dannenhero ein Sänger nicht schnarren, lispeln, oder sonst ein
böße Ausrede haben, sondern sich einer zierlichen und untadelhaften Aussprache
befleißen soll.
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Und zwar in seiner Muttersprache soll er die zierlichste Mund-Arth haben, so
daß ein Teutscher nicht Schwäbisch, Pommerisch, sondern Meißnisch oder der
Red-Arth zum nächsten rede, und ein Italiener nicht Bolognesisch, Venedisch,
Lombardisch, sondern Florentinisch oder Römisch spreche.
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Soll er aber anders als in seiner Muttersprache singen, so muß er dieselbe
Sprache zum aller wenigsten so fertig und richtig lesen, alß diejenigen,
welchen solche Sprache angebohren ist.
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Was die Lateinische Sprache anbelanget, weil dieselbige in unterschiedenen
Ländern unterschiedlich ausgesprochen wird, so steht dem Sanger frey, dieselbe
so, wie sie an dem Orthe, wo er singt, üblich ist, auszusprechen.
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Solte aber jemanden belieben, das Latein auf Italienisch auszusprechen, wie
nunmehro die meisten Sanger gewohnet, so hielte ich solches aus erheblichen
Ursachen |: welche hier nicht können angeführt werden :| nicht nur fur
zulässig, sondern auch recht und rathsam, für allen Dingen sollen die
Teutschen sich bemühen, einen guten und mercklichen Unterschied zu machen
zwischen dem b und p, d und t, f und v, wie auch ingleichen, daß sie das St
nicht ihrer Gewohnheit nach aussprechen, wie im Worte steten, sondern
wie im Worte besten.
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Gleich so soll es auch mit dem Sp Sc gehalten werden, absonderlich soll ein
Sänger die Vocales nicht miteinander verwechseln; sondern denselben ihren
natürlichen Laut geben, daß er nicht a wie o, und o wie a, e wie i und so
fort ausspreche.
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30. Das andre ist der Verstand der Wortte, [und] ist noch viel nothwendiger,
alß das Vorige.
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Dannenhero zu beklagen, daß, da ein Sänger zum wenigsten neben seiner
teutschen oder Muttersprache, auch die Lateinische und Italienische Sprache, wo
nicht gar wohl können, jedoch ziemlich verstehen solte, dennoch die
allerwenigsten sich um derselben eigentl[iche] und gründliche Erlernung
bekümmern.
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Dannenhero es denn kommet, daß solche bey gelehrten Zuhörern oftersmahls großen
Schimpf einlegen, und ihre Unwissenheit an Tag geben, indem einer über dem Wort
Confirmatio einen Passagio schlägt, einer einen Lauf in die Höhe thut, indem er
das Wort Abyssus passagiren will.
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31. Aus den verstandenen Worten sind die affecten abzunehmen, so darinnen
fürkommen, die vornehmsten affecten aber, so man in der Musica repraesentiren
kann, sind Freude, Traurigkeit, Zorn, Sanftmuth und dergleichen.
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32. In Freude, Zorn und dergleichen heftigen affecten, muß die Stimme starck,
muthig und herzhaftig seyn, die Noten nicht sonderlich geschleift, sondern
mehrentheils wie sie stehen, gesungen werden, denn die übrige Anbringung
der Manier, und fürnehmlich das Piano, das Cercar delta Nota, Anticipatione
della Syllaba und della nota, etwas melancoholischer, alß diese affecten
erfordert, lauten würden.
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33. Hingegen bey traurigen, sanftmüthigen, und solchen Worten ist besser, daß
man gelindere Stimme gebrauche, die Noten ziehe und schleife, oft die je
gedachten Kunststücke der Manier anbringe, hingegen der Forte, Ardire, Trillo
etwas weniger alß bei den heftigen affecten, daneben muß man in dieser Art
affecten eine langsamere Battuta, in jenen aber eine geschwindere, gebrauchen.
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Ein mehrers wird ein guter Sänger aus Anleitung seines judicii, und anderer
Sänger Exempel entlehnen.
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34. Hier fragt sichs, ob ein Sänger auch die im Texte befindlichen affecten mit
dem Gesichte und Geberden darstellen solle?
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So ist zu wissen, daß ein Sänger fein sittsam, und ohne alle Minen singen soll,
denn nichts Verdrießlichers, alß daß etliche Sänger sich besser hören alß sehen
lassen, indem sie, wenn sie gleich einem Zuhörer mit guter Stimme und Manier zu
singen eine Lust machen, dieselbige dennoch mit heßlichen Minen und Geberden
verderben.
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Dergleichen Sänger solten nur im Chor hinter dem Gitter, nicht aber öffentlich
und in eines jeden Augenschein sich hören lassen, oder ja sich bessere Minen
und Sittsamkeit angewehnen.
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Und ist meines Erachtens gar nicht thunlich, daß einer in Musiciren,
insonderheit bey Moteten und dergleichen Sachen, auch nur comoediantische
Geberden [gebrauche], sondern, wenn er mir folgt, [wird er] dieselbe[n]
spahren, biß er eine Person in einer singenden Comoedi wird auf sich nehmen
wollen, bey welcher Gelegenheit sie ihm besser anstehen werden, ja auch gar
nothig seyn, angesehen er denn, auf solchen Fall, nicht nur eines erfahrnen
Singers, sondern auch anmuthigen Comoedianten Person darzustellen hat.
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So viel nun auch kürzlich von der andern Art des Singens.
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Folget die dritte Art nehmlich Cantar Passagio.
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35. Die Manier des Cantar Passagiato [oder alla Lombarda] ist ein[e] Art zu
singen, in welcher man nicht bei den angetroffenen Noten verbleibt, sondern
dieselben verändert, und geschieht entweder per Diminutionem, oder [durch]
Coloraturen.
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36. Diminutio ist, welche die für sich angetroffenen Noten, in richtiger
Beobachtung der Battuta, verkleinert, also daß wenn man eine Note, die einen
halben Tact gilt, richtig in 4 Fusen, 8 Semifusen, oder 16 Subsemifusen
theilet, und nicht auf der Note hengen bleibt, sondern zierlich aus derselben
hinauß lauft, alß zum Exempel:
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Allerhand Exempel von dergleichen Diminutionm kann man allenthalben häufig
finden.
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[37]. Solche Diminutionen erfordern folgende Reguln:
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Sie sollen sparsam angebracht werden, damit nicht das Singen durch stetige
solche Läufe und wegen weniger auf solchen Fall fürkommender Veränderung,
sowohl dem Sänger beschwerlich und mühsam, alß auch den Zuhörern verdrießlich
fürkomme.
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Denn es fast närrisch steht, daß man nichts anders alß nur stetes Passaggiren
hören lasse, sondem es soll auch diese Manier wie das Saltz und Gewürtze
gebraucht werden.
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Zum Andem, daß solche nicht gar zu hoch noch zu tief, oder zu weit über oder
unter die Scala oder gar aus dem natürlichen Satz oder Ton gehen, wodurch gar
leichtlich die Composition verdorben, und bald hier, bald dar eine Roß-Quint,
Küh-Octav oder verdrießlicher Unisonus sich einschleichet und entweder der
Erste Discant, Alt oder Tenor in des Andern, oder der Andere in des ersten
seinen Clavem einlaufet, und also die wohlgesetzte Harmonie nolens volens
vernichtiget wird.
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Drittens müssen auch allerhand unbequemliche Sprünge und schwere Intervalla
vermieden werden, weil solche nicht allein keine gute Anmuth von sich geben,
sondern dem Hals unannehmlich fallen und also für die Instrumentisten viel
leichter und bequemer als für die Sänger sind.
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38. Coloraturen seind diese, welche sich eben nicht so just an die Battuta
binden, sondern sich oftermahls zwey drey oder mehr Tact verlängern, doch ist
zu observiren, daß so]che nur in denen Haubt-Finalen, und nicht zu oft, oder
immer auf einerley Arth oder Leyer müssen gemacht werden.
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Ein mehrers hiervon zeigen hin und wieder die wohlgesetzten Solo
rechtschaffener Singverständiger Componisten.
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Im übrigen ist unter denen Coloraturen und Diminutionen weiters kein großer
Unterscheidt, sondern waß bey diesem ist auch bey jenem zu observiren.
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39. Es ist auch besser und Musicalischer, wenn ein Sänger oder Instrumentist
in Coloraturen bei denen Cadenzen nicht von den Noten weicht, sondern wiederum
auf dieselbige mit Bescheidenheit zu lenket, und ist Unrecht, wenn einer die
zum Exempel hier vorgestellte Clausui, im Coloriren oder Diminuirem also
gebrauchte:
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Denn es verursacht gegen den andern Stimmen Quinten, Quarten, Octaven und
Unisonos.
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Ist derowegen besser anstatt der andern folgender Gestalt zu variiren:
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40. Wenn man aber allein zu einem Organisten oder Lautenisten musiciret, wird
es nicht wie bey einer mehr Stimmigen Harmonie so genau observiret.
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Man hüte sich nur, daß man nicht absque Judicio passagiret oder coloriret.
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Im Basso sollen gar keine mehrere Geschwindigkeiten oder Coloraturen gemacht
werden, als nur diejenigen, so vom Componisten gesetzt seyn.
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Denn sonst wird das Fundament des Gesangs zerrissen und bleiben die Stimmen
Boden loß, und wird nichts den nur eine verdrießliche Dissonanz gehöret;
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dahero das Mantuani Vers in Obacht zu nehmen: Bassus alit voces, confortat,
fundet et auget.
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Andere Stimmen aber sollen also coloriren, daß Sie nicht Vitia Musicalia
einführen.
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Solches aber können sie mercklich verhüten, wenn sie in dem Clave zu Coloriren
aufhören, darinnen sie angefangen.
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Ferner ist zum Beschluß annoch zu wissen von Nöthen, daß ein guter Sänger
oder Subtiler Musicus, der mit Qualitate und Quantitate Toni weiß umb
zugehen: muß bei dem Affect der Demuth und Liebe die Stimme nicht erheben:
und hingegen bei Zorn, dieselbige etliche Thone fallen lassen.
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Sonsten aber ist in dem Stylo recitativo in acht zu nehmen, daß man im
Zorn die Stimme erhebt, hingegen in Betrübnis fallen läßt.
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Die Schmertzen pausiren;
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die Ungedult raast.
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Die Freude ermundert.
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Das Verlangen macht behertzt.
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Die Liebe scharfsinnig.
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Die Schamhaftigkeit hält zurück.
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Die Hoffnung stärcket sie.
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Die Verzweiflung vermindert sie.
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Die Furcht drücket sie nieder.
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Die Gefahr fliehet man mit schreyen.
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So sich einer aber in die Gefahr begibt, so führet er eine solche Stimme, die
seinen Muht und Tapferkeit bezeuget.
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In Summa, ein Sänger soll nicht durch die Naasen singen.
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Er soll nicht Stammlen, sonst ist er unverständlich.
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Er soll nicht mit der Zung anstoßen oder lispeln, sonst versteht man ihn kaum
halb.
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Er soll auch die Zähne nicht zusamm schließen, noch den Mund zu weit aufthun,
noch die Zung über die Lefzen herausstrecken, noch die Lippen aufwerfen, noch
den Mund krümmen, noch die Wangen und Nasen verstellen wie die Meerkatzen, noch
die Augenbraunen zusammen schrumpfen, noch die Stirn runtzeln, noch den Kopf
oder die Augen darinnen herumdrehen, noch mit denselben blinzen, noch mit den
Lefzen zittern etc.
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last modified Sun Dec 10 18:13:32 2006 by Bernhard Lang |